(K)ein märchen von Monstern
Als Kind fantasierte sie oft, sie wäre der starke Ritter und würde die bösen Monster in die Flucht schlagen, ihre bedruckten T-Shirts und Pullover wurden dann zu einer glänzenden Ritterrüstung, der Besenstil wurde zum galoppierenden Ross der aus der Küche gestohlene Kochlöffel wurde zum eisernen Schwert. Die Ungeheuer spuckten Feuer, hatten aufblitzende Dolche als Zähne, schnaubten geladen, Rauch stieg aus deren Nüstern, ihr Gebrüll war ohrenbetäubend. Doch sie konnte sie mühelos besiegen und riefen ihre Eltern zum Abendbrot löste sich das grölende, rauchende Monster in Luft auf, verpuffte augenblicklich und war schon vergessen, sobald sie am Tisch saß.
Doch die wahren Monster in ihrem Leben versteckten sich nicht unter ihrem Bett, spuckten kein Feuer, rauchten aus ihren Nasenlöchern oder brüllten grimmig. Auf die echten Ungeheuer traf sie erst später und sie musste erst lernen sie zu erkennen.
Sie wird von ihnen heimgesucht, wenn sie in der Nacht allein durch die Straßen hetzt. Das Tageslicht lässt die Biester zurückschrecken, treibt ihre lüsternen Gedanken zurück in die Untiefen ihres Gewissens, lässt die lauernden Blicke sich im Licht des Tages brechen.
Doch sobald das Hell des Tages flüchtete und das Dunkel der Nacht sich wie ein eisiger Mantel über die Straßen der Stadt legte, kamen die Monster aus ihren Ecken gekrochen, tauchten aus ihren Verstecken auf, nahmen ihre Masken ab. Was am Tag ein freundliches Gesicht war, verzerrt sich mit Einbruch der Dämmerung zu einer hässlichen Fratze, eine helfende Hand wird zu einer gierigen, grabschenden Klaue.
Die Ungeheuer bewegen sich in den Schatten der Gassen, lassen ihre verlangenden Blicke auf ihrem Körper ruhen. Ihre stechenden Blicke gleiten vom Ansatz ihrer Haare über ihre vor der Brust hilflos verschränkten Arm und bleiben am Zipfel ihrer Jacke hängen. Wenn diese Schattenwesen sie mit ihren funkelnden Augen die Dunkelheit durchbrechend verfolgen, sehen sie nicht sie, sehen nicht ihr Gewand, sehen nur ihre nackte Haut unter dem Pullover, sehen die Gänsehaut, die sich aufstellt, wenn ein Schauer ihren gekrümmten Rücken hinab läuft. Sie sehen das, was sie versucht mit ihren Schichten und Schichten an Stoff, dem dreifach umgewickelten Schal, der zu weiten Hose, der ins Gesicht gezogenen Haube, zu verstecken.
Es ist Winter, es ist kalt sie ist dick angezogen und trotzdem ziehen die rohen Gedanken der verfolgenden Schatten sie aus, lassen sie nackt und schutzlos erscheinen lassen sie einsam sein, aberdoch ist sie nie allein. Alle drei Sekunden dreht sie sich um, wirft einen scheuen Blick über ihre Schulter, zieht ihre Jacke enger um sich, lässt die Kopfhörer in der Tasche, spitzt ihre Ohren, hält ihren Schlüssel wie eine klägliche Waffe zwischen ihren Fingern bereit.
Sie kann die lauernden Ungeheuer nicht kontrollieren. Sie kann nichts ändern.
Soll sie schreien? Weglaufen? Um sich schlagen? Macht das nicht alles noch schlimmer?
Nein machen kann sie wenig.
Ihr Pullover ist keine kindliche Fantasie, keine erträumte glänzenden Ritterrüstung mehr. Ihr Pullover ist ihr Schutzschild, ihre wahrhaftige Rüstung womit sie sich vor den hässlichen Gedanken der Welt um sie herum zu schützen versucht. Es ist ihr Alltag und trotzdem steht sie jedes Mal wieder vor dem Kasten, zieht Kleidungsstück nach Kleidungsstück heraus, überlegt was sie heute am besten vor den gefährlichen, lauernden Ungeheuern schützt. Den Rock und das zarte Kleid schaut sie schon gar nicht mehr an, den das ist nicht Rüstungstauglich, würde sie wie eine Ritterrüstung ohne Helm leicht verwundbar, zu einem einfachen Ziel machen.
Es ist Abend, sie trifft ein Freund. Sie weiß sie muss allein durch die Nacht nach Hause.
Sie legt ihre Rüstung an und hofft, dass sie heute die Blicke abprallen lässt, dass sie dieses Mal unsichtbar durch die Nacht schlüpfen kann, genau wie die Schatten, die Gestalten, die Stimmen, die Blicke, die sie verfolgen.
Sie trifft ihn in einer Bar unweit von ihm zu Hause, er hatte einen langen Tag und will nicht so weit fahren.
Sie trägt einen Pullover und eine Jeans.
Er trägt ein Pullover und eine Jeans.
Für ihn ist es nur ein zusammengeworfenes Outfit, dass mehr oder weniger gut aussieht.
Für sie ist es eine Rüstung.















